Zuhören und Erzählen mit 10|10®

von Dr. Eva Kinast — Kategorie: Kommunikation
Zuhören und Erzählen im Walking Meeting - Coaching

Vielleicht kennen Sie die – meist kritisch-provokant gemeinte – Frage: „Hörst Du Dir eigentlich selber zu?“ So gestellt ist sie zwar wenig geeignet, das zwischenmenschliche Verhältnis zu unserem Gegenüber zu verbessern, aber sie trifft einen wunden Punkt in unserem alltäglichen Kommunikationsverhalten: Zuhören! Wir hören viel zu wenig zu. Und deshalb fehlt uns allen die Gelegenheit, unsere Gedanken und Geschichten einmal im Zusammenhang und in voller Länge zu erzählen. Zuhören und Erzählen: Schlechte Zuhörer*innen und ungeübte Erzähler*innen bedingen sich nämlich gegenseitig.

Auch wenn viele Menschen diese Situation als unbefriedigend empfinden, gibt es dafür natürlich Gründe. Jedes Gespräch beinhaltet neben der sachlichen Ebene viele weitere Aspekte, die unser Kommunikationsverhalten beeinflussen. Es geht immer auch um Dinge wie Beachtung, die Art der Beziehung und/oder gegenseitige Bewertungen, wenn wir miteinander sprechen. Und wie so viele Bremser unserer persönlichen Entwicklung wirken sie meist unbewusst.

Um das zu ändern führe ich in meinen Seminaren und Ausbildungen eine Übung durch, die in dieser Form von Boudewijn Vermeulen stammt. Mit der Methode 10|10® üben wir das Zuhören und das Erzählen. Zwei Personen gehen 40 Minuten spazieren. In den ersten 10 Minuten erzählt die eine Person ohne Unterbrechungen und ohne Nachfragen der/des Zuhörenden von sich. Danach schweigen beide für 10 Minuten. Jetzt ist die andere Person mit dem Erzählen an der Reihe und die erste schweigt. Die letzten 10 Minuten des Spaziergangs schweigen wieder beide.

Das liest sich vielleicht unspektakulär, aber diese Übung hat es in sich! Die Teilnehmer*innen machen dabei häufig eine ganz neue Erfahrung des Erzählens. Viele reagieren erleichtert: Endlich konnten Sie ihre Geschichte einmal ohne Unterbrechung erzählen. Kommentare und Bewertungen von außen entfallen, sie mussten nicht reagieren, sondern konnten sich über eine längere Zeit selbst zuhören. Immer wieder ergibt sich aus der zusammenhängenden Erzählung schon eine neue Perspektive in Richtung Lösung des Problems. Der Rollentausch lenkt die Aufmerksamkeit wiederum auf das eigene Zuhörverhalten. Muss ich vielleicht einen Bewertungsimpuls unterdrücken? Fühle ich mich zu wenig beachtet, wenn ich schweigen muss? Möchte ich mit therapeutischen Ratschlägen in den Chefsessel? Das gemeinsame Schweigen, eine außer mit engen Vertrauten sehr ungewohnte Gesprächssituation, bietet schließlich den Raum, um das eigene Erzählen und eigene Zuhören noch einmal zu reflektieren.

Wie wäre es, wenn Sie die Probe aufs Exempel machten und einen Menschen aus Ihrem engeren Umfeld oder Ihre/n Partner*in zu einem 10|10® Spaziergang einladen? Vielleicht erfahren Sie Überraschendes, von Ihrem Gegenüber oder von sich selbst. Wie bahnbrechend das sein kann, erfahren Sie in dem erhellenden Buch „Die Wahrheit beginnt zu zweit. Das Paar im Gespräch“ von Michael Lukas Möller, das ich seit vielen Jahren als weiterführende Lektüre empfehle.

Oder Sie übertragen das Ganze in Ihren Businessalltag. Geben Sie Ihren Mitarbeiter*innen die Gelegenheit, sich nach dieser Methode im Freien ohne Kommentare und Bewertungen auszutauschen. Dabei entstehen garantiert mehr und bessere Ideen als in jedem konventionellen Meeting. Gönnen Sie sich selbst und anderen ein bewusst offenes Ohr – es wird sich für alle Beteiligten lohnen.

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