Sprachwandel als Anstoß zur Selbstreflexion und Horizonterweiterung

von Dr. Steffi Nothnagel — Kategorie: Persönlichkeitsentwicklung
Sprachwandel als Anstoß zur Selbstreflexion und Horizonterweiterung - Coaching

Sprache und Sprachwandel sind wichtig. Sie spielen für uns Menschen eine herausragende Rolle, da sie eine wesentliche Grundlage der zwischenmenschlichen Kommunikation darstellen. Sprache ist darüber hinaus wichtig für jeden einzelnen von uns, da sie es ermöglicht, über uns selbst und die Welt nachzudenken. Die Aufnahme von Informationen, die Verarbeitung von Erlebtem, Selbstreflexionen usw. sind ohne Sprache im wahrsten Sinne des Wortes undenkbar. Sprache ist dementsprechend ein bedeutendes Medium für unseren Bezug zur Welt und sie prägt die Art und Weise, wie wir uns selbst und andere in dieser Welt wahrnehmen und verorten.

Sprache und Sprachwandel sind folglich auch im Unternehmensalltag höchst relevant:

  • Wie sprechen wir miteinander?
  • Wie wird mit Sprache geführt?
  • Wer wird durch die Unternehmenskommunikation angesprochen – und wer nicht?
  • Spiegelt sich der Wertekanon des Unternehmens in der Unternehmenssprache wider?

Das sind nur einige Fragen, die kommunikationsbewusste Menschen in Unternehmen beschäftigen. Denn leider führen manche sprachlichen Ausdrücke (oftmals unbewusst) auch zur Ausgrenzung und zum Ausschluss von Menschen.

Für ein wertschätzendes Miteinander ist es lohnend, sich mit dem Thema ‚Inklusive Sprache‘ bzw. ‚Inklusiver Sprachwandel‘ zu befassen. Der Begriff ‚Inklusive Sprache‘, der meist primär mit barrierefreier Kommunikation assoziiert wird, kann auch verallgemeinernd für eine Sprache verwendet werden, die möglichst alle Menschen, gleich welchen Hintergrunds und welcher persönlichen Voraussetzung, anspricht und deren Teilhabe ermöglicht.

Inklusive Sprache in diesem Sinne kann folgendes umfassen:

  • barrierefreie Kommunikation (u. a.: Einfache Sprache, Leichte Sprache, Technologien zur Reduzierung von Barrieren)
  • gendersensible Sprache (Wissenschaftliche Studien belegen seit langem, dass bei der Verwendung des generischen Maskulinums vor allem an Männer gedacht wird. Das hat großen Einfluss darauf, wie und wo wir uns selbst und andere in der Gesellschaft sehen, z.B. in welchen Berufen oder sozialen Rollen.)
  • Berücksichtigung von Selbstbezeichnungen (z.B. von Personen marginalisierter Gruppen wie People of Colour oder von trans Personen)
  • das Sichtbarmachen der eigenen Identität (z.B. durch die Nennung von Pronomen)
  • Mehrsprachigkeit

Inklusive Sprache vermeidet abwertende Bezeichnungen, stereotype Zuschreibungen und rassistische Ausdrücke, die leider heute immer noch vorkommen. Es geht dabei nicht darum, sprachliche Ausdrücke zu verbieten, sondern darum, die historisch gewachsenen Verletzungspotenziale sprachlicher Ausdrücke zu erkennen und zu reflektieren, auch wenn man selbst als privilegierte Person nicht von Ausschluss und Ausgrenzung betroffen ist.

Eine vollständig inklusive Sprache in dem oben genannten Sinne ist nicht möglich. Die einzelnen Punkte sollten entsprechend der jeweiligen Kommunikationsziele und Kontexte gewichtet werden. Hinzu kommt, dass Sprache eine wichtige Identifikationsfunktion erfüllt und wir uns einen spezifischen Sprachgebrauch über Jahre hinweg angewöhnt haben. Aus diesem Grund brauchen wir auch Geduld und Zeit für uns selbst und alle anderen.

Sprachwandel wird von manchen als Zumutung verstanden, aber man kann Veränderungen im Sprachgebrauch auch als Chance zur Erweiterung des eigenen Horizonts begreifen. Die Beschäftigung mit inklusiver Sprache bzw. inklusivem Sprachwandel führt zur Auseinandersetzung mit unserer diversen Gesellschaft und den damit verbundenen Perspektiven und Erfahrungen von Menschen, die oftmals (z.B. im alltäglichen Sprechen) unberücksichtigt und/oder unsichtbar geblieben sind. Wie ist es denn für eine Frau, in der männlichen Form angesprochen zu werden? Wie surfen blinde Menschen im Internet? Was bedeutet rassistische Sprache in Kinderbüchern für Familien of Color? Indem wir uns diesen Fragen stellen, wächst unser Bewusstsein für Ungleichheit und Ausgrenzung – ein Prozess, von dem eine demokratische Gesellschaft nur profitieren kann.

Interview mit Dr. Eva Kinast zur gendersensiblen Sprache im Rahmen des Sprachwandels

Eva, wie stehst Du zum Thema ‚gendersensible Sprache‘?
Ich stehe diesem Anliegen sehr aufgeschlossen gegenüber. Wie Du weißt, spielt die Qualität von Beziehungen die zentrale Rolle in meinem Coaching-Ansatz. Schon deshalb schaue ich mir Kommunikationsformen und -muster, in denen sich die Beziehung spiegelt, immer sehr genau an.

Welche Konsequenzen hat Deine Haltung zum Thema gendersensible Sprache für Dein sprachliches Handeln im Alltag?
Für das Thema Gender bin ich aufgrund der Diskussionen der letzten Jahre stark sensibilisiert worden und habe in meiner eigenen Kommunikation, schriftlich wie mündlich, einiges an Verbesserungspotential entdeckt. Da ich auch sehr viel ohne unmittelbares Feedback kommuniziere, wie zum Beispiel in meinem Blog, meinem Newsletter oder in diversen Anschreiben per Brief und E-Mail, bemühe ich mich sehr um eine konsequente Umsetzung, damit möglichst keine Missverständnisse oder Irritationen aufkommen. Meine Website hinkt aus Zeitgründen leider noch ein wenig hinterher.

Hand aufs Herz – gibt es da auch Ängste und Vorbehalte und welche Rolle spielt Deine persönliche Komfortzone?
Ängste und Vorbehalte spüre ich bezüglich gendersensibler Sprache nicht. Ich habe das Thema noch nie als Zensur oder willkürlichen Eingriff in meine Privatangelegenheiten empfunden. Eine Komfortzone habe ich natürlich trotzdem, aber mein Beruf bringt es mit sich, dass ich mich ständig selbst reflektieren und diese dabei immer wieder aufs Neue verlassen muss. Hinzu kommt, dass ich auch noch nie kritisiert oder belächelt worden bin, weil ich mich (u.a.) um eine gendergerechte Sprache bemühe – da müssen andere in ihrem Umfeld vermutlich viel mehr aushalten.

Liebe Eva, vielen Dank für die Offenheit, mit der Du das Thema und Deinen Umgang damit kommunizierst!

Dieser Gastbeitrag stammt aus der Feder von Dr. Steffi Nothnagel, divcono, Diversity Consulting, Leipzig.

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